Spendenaufruf Erdbeben Ecuador und „Nichts ist gefährlicher als eine Idee — wenn man nur eine hat“

Hallo Ihr Lieben,

Es wird Frühling! Besonders vom 5. Mai – 8.Mai – da ist Gartenparty in Karnitz mit Anfeuern des Lagers und Schafskacke streuen. (Die Anreise und Anwanderung ist für die meisten der 04. Mai).

Wir haben Euch einen Spendenaufruf Erdbeben Ecuador unserer Freundin Anne Mette für den Wiederaufbau in Ecuador, wo ein Erdbeben Mitte April große Zerstörung angerichtet hat beigefügt. Auch uns ist Ecuador sehr nahe, seit nun mehr knapp sieben Jahren kommen Leute von der ecuadorianischen Fundación EcoMinga zu uns nach Karnitz und erzählen beindruckende Fort- aber auch viel Rückschritte aus der Gegend rund um die Provinz Manabí, die nun quasi dem Erdboden gleich ist.
Fühlt Euch angesprochen von beiden Einladungen.

„Nichts ist gefährlicher als eine Idee  — wenn man nur eine hat“. (Emile Chartier/ Philosoph)

Ich hatte im März nur eine Idee – nämlich das es Frühling wird. Und zwar sofort (vom Gefühl her) – und das vor 6 Wochen. Ich weiss nicht, war es das Finanzamt mit seinem Brief, welches mir den Frühling abdrehte? Jedenfalls steckten seitdem die Haseln ihre besonderen Blüten und andere Geschlechtsteile nicht ernsthaft in den Himmel.

Und wenn – wie es heute (fast Ende April und noch kalt) Birnen und Mirabellen taten – dann als Theaterposse: Blankgezogen: unendliches Weiß und dazu heiße Temperaturen von 5 Grad am Mittag und -1 Grad in der Nacht. Jede Biene geht da in den Ruhestand. Und an Interaktion, Austausch, Befruchtung, Halleluja ist nicht viel – nichts. Also blieben und bleiben Bäume und Blüten allein – und ich werde in den nächsten Tagen mit Wattestäbchen Natur spielen und die Interaktionen simulieren müssen. Wie ich hoch in die Kronen kommen und mich halten soll, weiß ich noch nicht. (Kennt Ihr den Bienenfilm „More than money“? – da turnen echte Menschen mit Wattestäbchen durch Obstbäume. Sehr, sehr hilflos).

Nun – es ist vielleicht ein Effekt der Postmoderne. In der Pubertät versuchen wir Menschen schon immer, unseren Platz in der Welt zu finden. Ich muss einfach nochmals auf Wedekinds „Frühlings Erwachen“ hinweisen, weil mir die Inszenierung im Deutschen Theater immer noch unter der Haut sitzt (wahrscheinlich war es eher das Brecht- oder das Gorki-Theater – aber scheiss drauf, was ist der Ort gegenüber einer Idee).

Inzwischen aber ändern wir als Erwachsene auch ständig unsere Position. Wir kommen in den Dauermodus des Versuchs oder der Pubertät. Damit sind wir auch immer angestoßen, uns nicht nur neu in neuen Posen zu erleben (und zu ertragen), wir sind auch angestoßen, uns immer neu zu entscheiden – wobei uns die Kriterien für diese Entscheidungen abhanden kommen. Es gibt – so scheint es – keine guten (zwingenden) Gründe mehr für das eine oder für das andere. Ich höre hier in MV oft den Satz „Wie es sich gehört“: Er bezieht sich auf das alltägliche Verhalten: Man grüßt jeden – wie es sich gehört! Man macht Kinder – wie es sich gehört! Man pflegt den Garten und die Straße – wie es sich gehört. Aber – wirklich??

Schwubbs gibt es eine Metaebene: Was sind Kriterien  – und wem gegenüber?

Etwas sehr formales (inhaltsloses) greift Raum: Hartmut Rosa nennt es Weltreichweite: wir suchen nach mehr Verfügbarkeit der Welt für unseren Alltag. Beim Geld kennen wir das schon längst: der Wochenendausflug nach London, die Woche nach Rio, die Mango im Bioladen aus Indien…. Aber das Smartfon macht das auch; ebenso das Internet mit seinen Foren… Und immer ist ein Aufschieben von Leben dabei: Je mehr Reichweite ich erlange, umso größer wird – so erwarte ich – die Wahrscheinlichkeit meinen Prinzen, mein Island, meinen Acker zu finden. Meine Welterwartungen explodieren. Meine Souveränität und Hoheit bei meinen Entscheidungen zu den eigenen Lebensentwürfen und denen meiner Lieblingsmenschen dagegen sinkt.

Einiges von dem, was die Menschen mit den bösen Zungen umtreibt, hat mit der anthropologischen Grenze unserer psychischen (individuellen), vor allem aber kulturellen (sozialen) Verarbeitungsfähigkeit zu tun. Die hohen Veränderungsgeschwindigkeiten machen wir.

Wir verlieren unsere Umwelt, die uns immer mehr auf die Pelle rückt, aufgrund dieser Geschwindigkeit als Resonanzraum. Demokratie war einmal der Gesellschaftsvertrag, dass uns die Welt nicht stumm und nicht unheimlich gegenübertritt, sondern antwortet. Wenn wir uns von (sprachlosen) Fremden aber nur bedroht fühlen, führt das bei uns zu Resonanzverweigerung aus Angst vor Verletzung. Ich will sagen, wir befassen uns zu wenig damit, was Demokratie bedeutet: welche Herausforderungen die gleichberechtigte Teilhabe an jeden Einzelnen von uns immer wieder stellt. Das ist die Hinterbühne von Verhaltens- und Gestaltungskompetenz.

Als ich beim ehemaligen Alpha-Point Thüringen/Hessen vor Jahren über Demokratie reden sollte, kam es zum kleinen Eklat: Die Veranstalter in der Bildungsstätte meinten, dass Demokratie schlicht durch die Struktur von Verfassung und Entscheidungsfindung der parlamentarischen Gremien gesichert ist, ich dagegen meinte, das der Citizen, der politische Bürger, die parlamentarischen und die außerparlamentarischen Oppositionen — jeden Tag die (eigene) Demokratiefähigkeit üben, kontrovers erproben und in ihrer Wirksamkeit reflektieren lernen müssen. Nichts ist gegeben.

 

Herzlichst

Joachim und Martina