Jetzt regt sich auch anderes.

Hier die Termine vorneweg, da sie wohl am Ende  eher untergehen
+++ Holz hacken I Halle ausbauen I Kochen-Essen-Trinken unterm Apfelbaum I Karnitz vom 1. April – 3. April  und  vom 5. Mai – 8.Mai +++

Kurz bevor wir im Dezember nach Chile fuhren, waren wir im Garten – da im Norden, also in Karnitz. Das war so der 17. oder 18. Dezember und vom Gefühl her wollte es nicht hell werden. Man glaubte, alles im Garten schliefe. Der stattliche Walnussbaum ließ seine Zweige wie traurige Arme hängen, die jungen Birnenbäume, die im Herbst noch ordinär Blindtriebe in den Himmel streckten, versteckten sich wie erwischte Exhibitionisten. In einer großen Übereinkunft hatten alle Gartenwesen „as slow as possible“ vereinbart: das Gras matschte und tat dem Augenschein nach grün, die Herbstkatzen wuchsen nicht weiter, die Hagebutten hingen am Strauch wie künstlich angebundene Bommeln, selbst der Maulwurf schob seinen Hügel nur in Zeitlupe in die Wiese, die Spatzen im Dornbusch waren verfangene Blätter… Aber alle taten nur so. Sie hatten die Augen geschlossen und ließen die Ohren hängen, um die Geister der Depression zu narren. Denn nichts fürchtete die Kirsche z.B. mehr als vom Novemberteufel offenen Auges erwischt zu werden: er packt sie dann nämlich leicht, küsst sie und sie fragt sich, was das Leben überhaupt noch soll. Das knappe Licht tut ihr übriges.  Aber wenn der 21.12 vorbei ist und die längste Nacht mit dem kleinsten Tag nicht mehr wachsen kann, dann platzt die Hoffnung heraus, auf die  die Gartengemeinschaft regungslos gewartet hatte — mit ein paar Yogaübungen wird Seele und Lebensverständnis gestrafft. Als wir Ende Januar zurück kamen, war schon die Hölle los. Was sich da so alles regte.
Jetzt regt sich auch anderes. In Neukalen hat sich ein Helferkreis  für die Neubürger im Ort gebildet. Es gibt Patenschaften und große Anstrengungen für dauerhafte Integration. (Nun es sind natürlich nicht alle davon begeistert …aber die, die dabei sind, sind begeistert!) Wir auch: wir sind dabei und freuen uns. Bisher sind es etwa 15 Menschen – Familien über drei Generationen. Wenn man sie zum Deutschlernen abholt, muss man nur darauf achten, dass das Auto nicht schräg geparkt wird – mit 2 Rädern auf dem Bürgersteig. Dann kommt die Angst hoch, dass das Boot kentern könnte.

Sie sind jetzt als Flüchtende anerkannt und suchen Wohnungen. (Bisher wohnten sie im Plattenbau am Rande der Stadt). Ich gebe mal weiter, was wir suchen: Fahrräder (um in die Stadt zu kommen); Autokindersitze (für die Transporte durch den Helferkreis), Fernseher als Fenster.

Wenn es Frühling wird, machen wir einen interkulturellen Garten mit angeschlossener Küche in Karnitz auf. Vielleicht lässt sich dadurch die Entfremdung etwas verringern, die der Wurf in eine andere Kultur immer bedeutet.

Das ist so ähnlich, wie die existentielle Art der Entfremdung, die – aus meiner Erfahrung – die Jungen unter uns erleben. Sie sind in eine Gesellschaft eingebettet, die so tut, als wären längst angeschaffte Spielregeln noch gültig. Vorsorge lohnt sich, Leistung sowieso, Kreativität und Ehrlichkeit … es sind sprachliche Rudimente in einem ausgehölten Spielregelwerk. Und diese sind gepaart mit Lebensumständen, die uns was weg nehmen, was wir gerade gewonnen hatten: Zeit. Über Facebook z.B. konsumieren wir und produzieren das System Facebook zugleich. Kapitalakkumulation ist das durch Enteignung. Uns wird Zeit geklaut und wir werden permanent beschäftigt – denn Menschen, die Zeit zum Nachdenken haben, ist das Letzte, was das System unserer  Gesellschaft gebrauchen kann; erst recht in einer heiklen Phase wie dieser.

Das waren Themen, die wir früher in Santiago mit Pedro Holz besprochen haben. Dieser Nachdenker und Poet starb im Januar. Im vergangenen Jahr hat er uns einige seiner Gedichte in die Kamera gesprochen. Wir stellen das in unseren YouTube-Kanal.

Herzliche Abendgrüße

Martina und Joachim