Hallo Ihr Lieben,
wir haben einen neuen Freund: Giovanni De Nittis. Er ist vor kurzem nach Gnoien gezogen! (Schnell was Gnoien bedeutet: Es ist eine Kleinstadt in Mecklenburg mit einer Reihe von großartigen Verrückten – ein Kfz-Mechaniker, der seine Akten im Kühlschrank lagert, aber jedes Autoproblem packt; ein Fledermausforscher mit einem befeindeten Nachbarn, der, als er für drei Monate ins Gefängnis musste, seine Gäule anspannte und mit ihnen bis Rostock trabte, sie vor dem Gefängnis ausschirrte und anpflockte und die Wärter bat, sich doch um sie zu kümmern; ein Maestro, der von Mauern bis Zimmern alles kann, früher das Freibad betreute… und jetzt auch noch Giovanni, ein Koch und Gastronom vom Besten – zugezogen aus dem Westen mit dem größten (und gefüllten) italienischen Weinkeller ausserhalb Italiens, mit einem Händchen für Balsamico (18jährig, selbst Jahr für Jahr von einem Fass zum nächsten gezogen) und Genüssen aus dem puren Gemüse und Obst, dass in Pestos, Cremes, Chutneys untergebracht ist. Er trocknet alles was ihm unter die Hände kommt: ganz vorsichtig, dass der Geschmack und die Würze bleibt, mal mit zugesetztem Meeressalz mal eingelegt in Likörsirup. Und daraus dann macht er Cocina… Dieser Giovanni hat in seinem Keller Grappa von Romano Levi! Dieser begnadete italienische Destillateur gestaltete seinen Grappa – er produzierte nicht einfach. Jede Charge war ein Unikat, jedes Unikat wurde weiter verfeinert durch unterschiedlich lange Lagerung (und ein älterer Grappa ist dann nicht mehr farblos-wasserfarben sondern bekommt mehr und mehr einen Stich von rotbraun). Romano Levi – auch anders als die meisten von uns – verkaufte seinen Grappa ungern; er lies Kunden oft ein, zwei Tage warten bis er sich entscheiden konnte eine Flasche herauszugeben. Dann aber hatte der Kunde nicht nur einen exellenten Grappa sondern auch noch ein kleines Gemälde von Romano: denn der malte für jede Flasche ein eigenes Etikett! Das kann man Kultur nennen. Auf jeden Fall ist das eine Geschichte, die davon erzählt, dass Grappa etwas völlig anderes sein kann als Grappa auf dem kurzen Weg vom Supermarkt in den Kopf und Körper eines Wesens, das noch vor dem Schluck aus der Flasche auf dem gedruckten Etikett die Prozentzahl des Alkoholgehalts nachliest.
Im Garten kann es auch verrückte Sachen geben….
Wir planen einen Hofladen.
Ein Hofladen ist die Tür nach hinten in den Garten! Würde man den direkten Weg vom Dorf her nehmen wollen, nähme man eine starke Irritation in Kauf, denn man käme von der Kultur der Infrastruktur und der Gemeinwesenregeln, der Straßen- und Gebotsschilder, Eigentumzaungrenzen unvermittelt und unmittelbar in die Anarchie einer sich selbst genügenden Beziehungs- und Deutungswelt. Das macht Angst. Erwartet und begrüßt werden wir da nicht, irgendwie hingenommen.
Der Hofladen aber hat Gewohnheiten, die wir kennen! Er (!) erwartet uns, hat sich auf uns eingestellt mit Kaffeesorten und verschiedentlich zubereitetem Tee – der hat da und dort schon Blätter aus dem dahinter! Damit beginnt er uns zu IHM zu leiten, zu dem wilden Bruder, zu der ZONE, wie er in Tarkowskis Stalker auftaucht. Und wir, wenn wir uns einlassen und Zeit nehmen akklimatisieren uns! Es ist so wie beim Aufstieg zum Lago Chungara, dem wohl höchsten See der Erde im plano alto des Grenzgebietes Chiles. Wollte man zu diesem See in einem Stück reisen – wie wir den Übermut heutiger Reisekultur ja kennen, ja da würde uns Ungewohnten, Ungeübten und Ahnungslosen die Höhe böse mitspielen. Aber uns flüsterte Einer was, steckte uns Coca-Blätter in die Jackentaschen und hielt uns in Pudre – einem Städtchen auf halber Höhe – für eine Nacht auf.
Der Hofladen, den wir zu planen beginnen, ist Pudre. Seine Genehmigung – also den Eintritt von der Dorfseite haben wir. Die Art des Eintritts von ihm in den Garten und die „Umstellung“ auf die neue Welt ist uns noch ein Geheimnis.
Ich dachte, Herman Hesse könnte mit seiner Schilderung „Stunden im Garten“ bei der Offenbarung helfen. Aber leider schreibt er nur über den Gärtner, der sein Werkzeug nach altem Gebrauch pflegt, der zwischen Haus und Garten eine Bannmeile gezogen hatte, die bedeutete: Bis hierher, Garten und nicht weiter. Immer morgens lief er dann „Streife“, erwischte natürlich junges Grün auf dem Weg zum Haus oder sich zwischen Steinumrandungen versteckend und verhaftete es. Ein wenig traut er sich dann: „Durch die Reben den Grashang hinab, …steig ich, Abhang um Abhang. Schon ist verschwunden das Haus, ich seh den Buchsbaum starr in den glühenden Himmel ragen, es nimmt mich der Garten, nimmt mich der steile Rebhang auf,und schon sind die Gedanken weg vom Hause, vom Frühstück, den Büchern, der Post und der Zeitung.“Und was macht Hermann Hesse im Garten? Er kokelt. Er beschreibt das bravurös – nur bei der Begründung ist er sehr umständlich: Er tut so, als ob er mit offenem Feuer anständigen Dünger aus dem Laub und den Zweigen hervorlockt wenn er damit zündelt und spielt.
Nun, er kannte noch nicht – wie viele unserer Zeitgenossen ebensowenig – das Märchen von Terra Preta, dem geheimnisvollen schwarzen Boden, der sich bei richtigem und guten Gebrauch, bei Wertschätzung und Pflege, währenddessen er Rettich, Bohnen und Kürbis nährt, selbst wächst. Es ist nicht das verkrampfte, cholerische Wachsen einer kapitalistischen Utopie – es ist ein gelassenes Aufbauen von Potenz und Potenzial. Sagt die Legende.
Vor kurzem lernte ich Benki Piyako kennen. Er ist der Nach- und Vordenker des Amazonasvolkes Ashaninka. Bei ihm finden sich viele Märchen, die über Wissen und Klugheit im Umgang miteinander und mit der Natur berichten. Er hat ein Bildungszentrum errichtet, für uns Unwissende.
– Die Holzwerkstatt naht: In der großen Gärtner-Halle in Karnitz werden wir vom 10. – 12. April an und mit Holz arbeiten. Von der Kettensäge bis zur Laubsäge ist alles drin. Verbandzeug haben wir auch. Abends werden Geschichten erzählt – wie anders als am Lagerfeuer – und Schnäpse, Säfte und Weine probiert.
– Es stehen an zwei Workcamps mit Jugendlichen aus Mecklenburg, die wir für Euch öffnen.
Wir arbeiten an der künstlerischen Gestaltung, Interpretation von Lebensentwürfen.
Die Termine und das Programm geben wir in Kürze durch.
– Am 19.9. werden wir unter dem Titel „Klimatische Irritationen“ die erste Filmveranstaltung „des kulinarischen Kinos“ durchführen. Es ist eine Art Perdormance mit Spots aus den Sommeruniversitäten, Textlesungen und leichten Slow Food Gerichten.
Ihr seid herzlich eingeladen
Viele Grüße von der Karnitzer Osterinsel
Martina und Joachim